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Widerstandskraft unseres emotionalen Gehirns mit Chiropraktik unterstützen

Zu viel Stress und Veränderungen können uns überfordern und damit krank machen. „Jetzt reg dich doch mal nicht so auf!“ Wer kennt diesen Ausspruch nicht? Ob still zu sich selbst gesprochen oder an andere gerichtet, bringt der Satz gleich zwei altbekannte Fakten auf den Tisch: Was wir fühlen und unsere rationale Analyse gehen nicht per se Hand in Hand. Aber warum ist das so und sind wir dem einfach ausgeliefert? Auf diese Fragen möchte ich hier eingehen. Unterfüttert mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung, Neurobiologie, Psychologie und Chiropraktik nehme ich eine Pointe vorweg: Wir können es in unsere Hände nehmen, wie belastbar wir sind.

Verstand ist nicht gleich Verstand

„Wir sollten uns davor hüten, den Intellekt
zu unserem Gott zu machen; Gewiss, er hat
starke Muskeln, jedoch keine Persönlichkeit.
Er darf nicht herrschen; nur dienen.“
Albert Einstein

Starten wir mit einer Reise in unser Gehirn. In den Augen des portugiesischen Neurowissenschaftlers Antonio Damasio ist unser gesamtes psychisches Leben geprägt durch das andauernde Streben nach einer Balance: Die Harmonie zwischen zwei uns innewohnenden Gehirntypen. Ein kognitiver: bewusst, rational und der Außenwelt zugewandt, sowie ein emotionaler: unbewusst, in erster Linie aufs Überleben bedacht und in engem Kontakt mit dem Körper.

Diese beiden Verarbeitungsebenen prozessieren unsere kompletten Vorgänge, vom Lesen bis hin zur Zellteilung. Auch unser Erleben, das als eine Art intuitives Urteil über eine Situation (z. B. gefährlich oder angenehm) nur sehr geringfügig über Logik gesteuert werden kann. Bevor wir zu der Frage kommen, wie dann gefühlsmäßige Einschätzungen veränderbar sind, tauchen wir etwas tiefer ein. Im wahrsten Sinne, denn die Organisation unseres Gehirns ist nach neueren Erkenntnissen besser begreifbar, wenn man von außen nach innen geht. Mit jeder Ebene, die wir so vorstoßen, reisen wir evolutionär auch in der Zeit zurück. Wie bei Erdschichten auch ist die oberste die neueste.

Im Gehirn ist das der hauptsächlich kognitiv-sprachlich operierende Teil, unsere ummantelnde Hirnrinde. Sie ist für detailgetreue aktive Verarbeitung und bewusste Kontrolle zuständig. Dahinter folgen die auch als obere, mittlere und untere limbische Ebenen bekannten Segmente. Über das sogenannte Nachhirn ist unser Gehirn schließlich mit dem Rückenmark verbunden, gewissermaßen der Daten-Autobahn für den Körper-Hirn-Dialog, weswegen aus chiropraktischer Sicht unter anderem der Zugriff auf die Nervenbahnen in und entlang der Wirbelsäule so wichtig ist.

Dieser mehrere Hirnbereiche umfassende Teil wird auch als das emotionale Gehirn bezeichnet. In den unteren und mittleren limbischen Ebenen sind unbewusste und automatisierte Körperprozesse (vom Atmen über das Erröten bis hin zu Gewohnheiten) und im oberen Teil darüber hinaus reflektierte emotionale Verarbeitungen organisiert, die auf situationsgerechtes Empfinden prüfen und Eindrücke vorbereiten. Eine Irritation wie ein Erschrecken vor einer kaum wahrgenommenen Bewegung wird dann beispielsweise zur bewussten Prüfung an die Großhirnrinde signalisiert, damit eine Gefahr ausgeschlossen werden kann.

Vernetzte Erfahrung

Wie genau jede einzelne Person auf die Umwelt reagiert, ergibt sich dabei aus dem sich beständig entwickelnden Schaltplan ihrer Nervenzellen. Neue Eindrücke schaffen neue Verbindungen, deren Wiederholung verstärkt die Verknüpfung. Andere sterben wieder ab – und das gilt vom frühesten Moment unseres Lebens an. Schon im Mutterleib, ca. Ende der 8. Woche, sind Gehirn und Rückenmark fast vollständig angelegt und es entwickeln sich Unmengen von Nervenzellen. Während der gesamten Schwangerschaft sind die neuronalen Strukturen äußerst empfindlich und damit anfällig gegenüber äußeren Einflüssen, vom Konsumverhalten bis hin zum Stress-Level der Mutter, alles wirkt sich unmittelbar aus und prägt so auch erste Verknüpfungen im heranwachsenden Kind. Durch die Kopplung an das Blutsystem der Mutter gilt das auch für das körpereigene Stoffsystem, das über Cortisol, Oxytocin, Opioide, Dopamin, Serotonin und weitere Ausschüttungen die Rezeptoren mehrerer Nervenzellen gleichzeitig stimulieren oder ausbremsen kann. So etablieren sich Verbindungen, beschleunigen die Informationsweitergabe oder blockieren sie. Wiewohl beispielsweise der Hypothalamus kaum ein Prozent der Gehirnmasse eines Erwachsenen ausmacht, reguliert er die Sekretion nahezu aller Körperhormone. Über sie beeinflusst er Appetit, Libido, Schlafzyklen, Menstruationszyklen, Temperaturregelung, Fettstoffwechsel und vor allem die Stimmung und die Energie zum Handeln.

Unsere Erfahrungen und unser Verhalten bilden dabei eine Grundlage dafür, welche Netzstrukturen sich ausbilden. Hierüber organisiert unser Gehirn auch, ob Gefühlen uneingeschränkt freier Lauf gelassen wird. Denn die höheren Denkfunktionen sind dafür zuständig, mittels rationaler Analyse den jeweiligen Umständen angepasst zu reagieren. Auffällig sind dagegen im wahrsten Sinn unbedachte Handlungen, kleine Fehler bei der Bewertung, wie zum Beispiel die sogenannten Freudschen Versprecher oder regelrechte emotionale Ausbrüche. Sie sind ein Spiegel unseres Erlebens und können das komplizierte Gleichgewicht unserer Beziehungen zu anderen in Gefahr bringen. Sehr gut auf den Punkt bringt es auch die Entschuldigung: „Das ist mir so rausgerutscht.“ Und wie kommen wir nun an das dahinterliegende Erleben?

Sie kennen vielleicht die Fabel von den zwei Wölfen. In einer Version dieser Fabel sagt der Großvater zu seinem Enkel: „In jedem Menschen kämpfen zwei Wölfe, ein böser und ein guter.“ Der Enkel fragt. „Und wer gewinnt?“ Großvaters Antwort: „Der, den du fütterst.“

Für unsere neuronale Struktur können wir daraus lernen, dass unsere bewussten Entscheidungen und Einstellungen geprägt sind von unbewussten Prozessen. Die entwickeln sich auch unabhängig von unserer reinen Vernunft, aber nicht entkoppelt von unserer Umwelt und der Art, wie wir mit ihr interagieren.

„Aus diesem Blickwinkel sind unsere Emotionen nichts anderes als das bewusste Erleben eines großen Zusammenspiels physiologischer Reaktionen, die die Aktivität der biologischen Systeme des Körpers überwachen und ständig den Notwendigkeiten der inneren und äußeren Umgebung anpassen. Das emotionale Gehirn kennt daher den Körper viel besser als das kognitive Gehirn.“
David Servan-Schreiber

Herzrate und Training des Parasympatikus

Daher lässt sich das emotionale Gehirn auch über den Körper gezielter erreichen als über die kognitiv-sprachliche Ebene. Therapeutisch wird bereits auf vielen Ebenen, von der Atmung über Klang oder Berührung und auch Augenbewegungen, mit diesem Wissen gearbeitet. In neurobiologischen und auch chiropraktischen Ansätzen rückt daher die Herzraten-Variabilität in den Fokus.

Neurobiologische Untersuchungen zeigten, dass die Herzregion nicht nur vom zentralen Nervensystem gesteuert wird, sondern dass sie Nervenfasern zur Schädelbasis nutzt, um die Aktivität des Gehirns zu kontrollieren. Darüber hinaus verfügt sie über eine eigene Hormonproduktion, womit das „kleine Gehirn“ des Herzens direkt auf das emotionale Gehirn einwirken kann. Da diese Verbindungswege mit über die Brustwirbelsäule verlaufen, ist hier auch chiropraktisch ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt. Grundsätzlich gilt eine hohe Variabilität als gutes Signal für die Anpassungsfähigkeit und damit auch Stressresistenz des Systems. Die Variabilität zeigte sich in klinischen Tests bei Neugeborenen als am größten und im Sterbeprozess am niedrigsten. Sie drückt im Grunde das Verhältnis zwischen den beiden unbewussten Steuerungssystemen des Sympatikus und des Parasympatikus aus. Die Variabilität wird geringer, sofern wir die physiologische Bremse, den entspannenden Teil – das parasympathische System – nicht trainieren. Der Beschleuniger und Aufreger – das sympathische System – ist durch den Alltag ohnehin permanent im Einsatz.

Also besteht die Herausforderung darin, das mit stressreduzierende und für Erholung sowie Regeneration zuständige parasympathische System zu stärken, um die bestmögliche Balance zwischen beiden zu gewährleisten. Das ist nicht nur für unser Wohlbefinden und das Herz-Kreislauf-System wichtig, auch das Immunsystem profitiert davon: Immunglobuline A (IgA) stellen die erste Verteidigungslinie des Organismus gegen Ansteckung durch Viren, Bakterien und Pilze dar. Sie entstehen an der Oberfläche der Schleimhäute (Nase, Hals, Bronchien, Darm und Vagina), wo ständig Infektionen drohen. In einer Studie1 hat allein die Vorstellung von Wut bei den Probanden dazu geführt, zum einen im Herzrhythmus messbar Chaos zu stiften und zum anderen die IgA-Werte im Anschluss für sechs Stunden abfallen zu lassen.

Mit anderen Worten: Ärger und Stress mindern die Widerstandskraft. Das Gute daran: Umgekehrt funktioniert es auch. Positive Erinnerungen oder Stimmungen erhöhen die Produktion von IgA in den nachfolgenden sechs Stunden. In derselben Studie führte eine positive Erinnerung zu mehreren Minuten der Kohärenz, und die Produktion von IgA erhöhte sich in den folgenden sechs Stunden.

Was fange ich jetzt damit an?

Es sollte bis hierher deutlich geworden sein, dass unser emotionales Gehirn entscheidenden Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hat. Es im positiven Sinn aktiv zu gestalten, setzt beim Körper an. Da können wir alle bereits viel tun – über gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung etc. Auch die verschiedenen Formen regelmäßiger mentaler Entspannung, von autogenem Training bis hin zu Meditationsformen, können dabei unterstützen.

Wichtig ist ein zentraler Gedanke: Wenn wir uns nicht mehr in der Lage sehen, unser Leben im Griff zu behalten, verliert es sehr schnell seinen Sinn. Und hier zeigt sich auch eine der Lockdown-Problematiken. Für die verschiedenen rationalen Herausforderungen sind wir nur im Stande, wenn wir ein stabiles, widerstandsfähiges Erleben haben. Zumindest aktiv daran arbeiten. Sonst kann es sein, dass wir driften, uns nur getrieben fühlen, erschöpft sind und psychische und körperliche Symptome entwickeln.

Und ja, auch in meiner Praxis sehe ich dafür einige Anzeichen. Waschzwänge bei Kindern und Jugendlichen, zunehmende Erschöpfungs- und Schmerzsymptomatiken bei Berufstätigen, Angststörungen in allen Altersgruppen. Als Chiropraktor ist das Herzstück meiner Arbeit, über den Körper – in der Regel über die Wirbelsäule – Impulse in das Nervensystem zu geben. Die mechanische Beseitigung von Fehlstellungen ist dabei nur ein kleiner Teil meiner Arbeit, damit die so offensichtlichen Störungen auf den nervalen Informationswegen beseitigt werden können.

Wesentlich relevanter ist die in der Regel über längere Zeit sich zeigende Entwicklung der Herzraten-Variabilität (s.o.), die ein deutlicher Indikator dafür ist, wie die Justierungen auch im emotionalen Gehirn wirken. Wenngleich häufig Symptome wie Schmerzerleben den Start unserer Zusammenarbeit markieren, ist eine neurologische Aktivierung das eigentliche Anliegen chiropraktischer Behandlungen. Ziel ist die anhaltende und dauerhafte Verstärkung der neuronalen Netzwerke, die Sie dazu bringen sollen, vermehrt gesunde Entscheidungen zu treffen.

Ob bewusst hinsichtlich Konsum und Verhalten oder auch unbewusst in den Regulationsprozessen Ihres Körpers. So kann Chiropraktik nach meinem Dafürhalten auch als eine Art Personal Trainer für Ihr emotionales Gehirn angesehen werden. Jede Justierung, die Ihre aktuelle Verfassung und Herausforderung (s. auch Kontext Chiropraktik „Prinzipien der Justierung“) adäquat berücksichtigt, unterstützt Sie so dabei, Ihr Wohlbefinden und Ihre Gesundheit zu erhalten und zu steigern.

Emotionale Intelligenz (EQ)

In den 1990ern entwickelten Forscher der Universität Yale/New Hampshire einen emotionalen Quotienten (EQ = Emotionsquotient), der die gängigen Testverfahren des Intelligenzquotienten (IQ) um die für sozialen Erfolg und persönliches Glück wichtigen Komponenten ergänzen sollte. Sie identifizierten dafür vier Faktoren:

  1.  die Fähigkeit, seinen eigenen Gefühlszustand und den anderer zu erkennen;
  2. die Fähigkeit, den natürlichen Ablauf von Gefühlen zu verstehen (was folgt üblicherweise auf Zorn, Trauer etc.);
  3. die Fähigkeit, über seine eigenen Gefühle und die anderer vernünftig nachzudenken und zu urteilen;
  4. die Fähigkeit, mit seinen eigenen Gefühlen und denen anderer richtig umzugehen.

Während der IQ sich im Verlauf eines Lebens kaum steigern lässt, bietet die emotionale Intelligenz in jedem Alter Entwicklungschancen. Es ist daher nie zu spät, die eigenen Fähigkeiten auszubauen, besser mit seinen Gefühlen in Kontakt zu kommen und die Beziehung zu seinen Mitmenschen zu pflegen.

¹ „G. Rein, R. McCraty, et al. (1995), »Effects of positive and negative emotions on salivary IgA«, Journal for the Advancement of Medicine, Bd. 8 (2), S. 87–105.“
Weitere Quellen: Nicole Streber, Risiko Kindheit – Die Entwicklung des Gehirns verstehen und Resilienz fördern
David Servan-Schreiber – Die neue Medizin der Emotionen: Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente